Stilbruch

14.09.2024 – 11:43 Uhr: Mit dem Ferienende hat sich auch der Sommer verabschiedet. Von jetzt auf gleich erfolgte ein Temperaturabsturz von 30 Grad auf durchschnittlich 15 Grad und ich stellte erschrocken fest, dass Junior inzwischen aus einem Teil seiner langen Kleidung herausgewachsen war und daher seit ein paar Tagen in „Hochwasserhosen“ unterwegs ist. Doch der restliche Schulstart lief weitgehend flüssig, sodass wir wieder relativ gut in den Schulalltag zurückgefunden haben, auch wenn dies bedeutet, mindestens eine Stunde vorher auf der Matte stehen zu müssen. Auch unser Schulbus hat es selbstverständlich schon geschafft, seinen morgendlichen Schlenker durch unseren Ortsteil zu „verplanen“ – geordnetes Chaos eben!

Auch die Förderbank ist aus dem Urlaub zurück und meldete sich mit einem Schwung Nachforderungen und Nachforderungen-Nachforderungen auf unsere Mittelabrufe zurück, deren Anträge unsere Firma bereits vor drei Monaten gestellt hatte – auch hier hat also der alltägliche Wahnsinn wieder begonnen, und ich arbeite quasi im Akkord Aufgabe für Aufgabe ab, die seither so auf meinem Schreibtisch landen. Als willkommene Abwechslung stellte sich daher unsere Teilnahme an einem erneuten Pitch-Event dar, aus organisatorischen Gründen wurde ich gefragt, ob ich als Backup dabei sein könnte – und so startete unsere „Reisegruppe Sonnenschein“ am vergangenen Donnerstag gen Hamburg.

Ich bestand auf die Anreise mit dem Auto, was sich im Nachgang als kluge Entscheidung herausstellte, da diverse Bahn-Ausfälle weitere Teilnehmer vor Schwierigkeiten stellten. Unser Team fand sich jedoch pünktlich vor Ort ein und im Grunde lief auch alles glatt für uns. Ich blieb Backup und konnte daher die Räumlichkeiten des exklusiven Hamburger Clubhauses genießen, in welchem sich sonst nur die reichsten und einflussreichsten Vertreter unseres Landes treffen – doch auch natürlich nicht ganz ohne negativ aufzufallen. Als die Moderatorin einen weiteren Pitchenden vorstellte, der uns gleich etwas über „die Physiotherapie in der Hosentasche“ erzählen wolle, prustete ich hörbar los. Klasse, Doreen, jetzt hast du direkt gezeigt, dass du auch seriös kannst … nicht! Aber immerhin war ich nicht die einzige, die noch nicht ganz bei der Sache war, und so hatte ich ein paar Lacher auf meiner Seite.

Auch war ich nicht die Einzige, die gerne mal mit Anlauf ins Fettnäpfchen springt. Als ein Unternehmer dem weitgehend männlichen Publikum – das Oberthema war übrigens „Impact-Startups“, also Startups, die mit ihrer Geschäftsidee soziale und ökologische Probleme lösen möchten – stolz verkündete, dass sein Team zu 50/50 aus weiblichen und männlichen Mitarbeitenden besteht, ließ er sich nicht nehmen, noch folgenden Nachsatz sinngemäß hinterherzuschießen: „Naja, die Zahl variiert natürlich ab und zu … denn die Frauen können ja schwanger werden … und dann fehlen sie wieder eine Weile.“ Die Dame neben mir und ich ließen ein leises Raunen von uns los. Auch später wurde es unterhaltsam, als ein Startup aus Berlin, welches ich bereits von einem früheren Pitch-Event kannte, ihr Produkt, einen Beckenbodentrainer für Frauen, vorstellte – ein Produkt, das ich nach meiner Schwangerschaft im Übrigen sehr geschätzt hätte – und den Drogeriemarkt „DM“ als potenziellen Vertriebskanal in Erwägung zog. Ein Herr, dessen mittleres Alter sich dem Ende neigte, ließ es sich nicht nehmen, dies infrage zu stellen. Er könne sich nicht vorstellen, dass dies eine gute Idee sei, da es doch ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt sei. Auch hier atmeten die Frauen im Saal hörbar auf. „Ich denke“, ließ die Moderatorin verlautbaren, „dass dieses Produkt wohl eher für die männlichen Teilnehmer erklärungsbedürftig ist, nicht für die Frauen, für die dieses Produkt ja gedacht ist.“ Für mich bereitete jede dieser Situationen eine gewisse Freude, da sie eben gewisse Absurditäten einfach verdeutlichten.

Zum Barbecue in einem nicht weniger altehrwürdigen alten Bankgebäude gingen wir jedoch nicht mehr – es war bereits 19 Uhr, und ich merkte, dass wir fahren sollten, bevor meine Müdigkeit Oberhand gewinnt – schließlich hatten wir noch über drei Stunden Fahrzeit vor uns, die zum Glück verflogen. Einzig ein geplatzter Reifen eines Lkws unmittelbar vor uns sorgte für einen Schreckmoment. Dieser ging mit einem lauten Knall, gefolgt von mehreren kleineren Knallen, einher. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass der Wagen wohl Feuerwerkskörper geladen hatte. Zum Glück reagierten alle Beteiligten besonnen: Der Lkw-Fahrer schaltete die Warnblinkanlage ein und fuhr vorsichtig auf den Standstreifen, während ich nur etwas abbremsen musste. Für Herzklopfen sorgte die Situation natürlich dennoch, und auch wenn ich den Moment nicht als „Near-Death“-Erlebnis empfand, wie es der Kollege später vor dem Team erzählte, konnte ich nicht umhin, darüber nachzudenken, wie ich wohl reagiert hätte, wenn das Geknalle genau neben mir losgegangen wäre. „Ja“, sagte ich dem Kollegen kurz nach dem Ereignis, „ich kann nicht ausschließen, dass ich vor Schreck in die Leitplanke gerauscht wäre.“ Und so wurde es doch noch ein bisschen denkwürdig an diesem Abend.

Und sonst so? Spontan habe ich mich als Wahlhelferin für die kommenden Landtagswahlen in Brandenburg gemeldet, nachdem der Wahlleiter unserer Gemeinde einen fast schon verzweifelten Aufruf auf Facebook gestartet hatte – speziell für unseren Ortsteil. Da ich ohnehin neugierig bin, wie es hinter den Kulissen einer Wahl zugeht, dachte ich mir: Warum nicht? Gestern besuchte ich dann die Schulung für Wahlhelfer – und stellte fest, dass ich mit Abstand die jüngste Teilnehmerin war. Die Runde wirkte aber sehr sympathisch, und offenbar habe ich mir mit meinem Ortsteil ein entspanntes Wahllokal ausgesucht. Besonders nett fand ich, dass der Wahlleiter bei unserem ersten Telefonat auch Kuchen erwähnte – wenn das mal kein Anreiz ist! Die Schulung selbst war recht umfangreich und theoretisch, also hoffe ich jetzt einfach, dass am Wahltag alles reibungslos läuft.

Ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Europa- und Kommunalwahlen lässt jedoch vermuten, dass viele meiner Nachbarn eher dazu neigen, die rechten Tendenzen, die dem Osten nachgesagt werden, zu bestätigen, statt sie zu entkräften. Es ist ernüchternd, aber es zeigt auch, dass die Gesellschaft weiterhin die Unzufriedenheit vieler Bürger nicht ernst genug nimmt. Statt die Probleme anzupacken, werden die Schuldzuweisungen fröhlich hin- und hergeschoben, und die Stimmung in der Gesellschaft sinkt weiter ab. Wann fangen wir endlich an, uns wieder mit Respekt zu begegnen?

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