24.11.2023 – 18:56 Uhr: Es geht weiter. Der Tod meines Vaters liegt mehr als einen Monat zurück und der Gedanke daran, dass er nicht mehr ist, ist inzwischen Alltag für uns, auch wenn die Melancholie zuweilen zurück kehrt. Es war nicht so ein Knall, wie damals, Anfang 2020 zur Krebsdiagnose – Krankenhaus – Operation – zwei Wochen künstliches Koma – sein Leben am seidenen Faden und für uns die absolute Ungewissheit, ob er das schafft. Zur gleichen Zeit fand Corona Einzug in unser aller Leben und jede Fernsehberichterstattung über piepsende, lebenserhaltende Maschinen auf Intensivstationen versetzte mich noch wochenlang danach wieder und wieder zurück an das Krankenbett meines Vaters. Doch dieser kämpfte sich zurück und verlebte – soweit es sein Gesundheitszustand eben zuließ – noch zwei durchaus erfüllende Jahre, bis die Therapie nicht mehr anschlug. „Schaffe ich den nächsten Sommer noch?“, soll mein Vater seinen behandelnden Arzt im Dezember 2022 einmal gefragt haben. Seitdem ging es erst schleichend, dann immer rascher bergab, bis zur Zäsur am 21. Oktober 2023, als die Zeit um 11:43 Uhr für uns Übriggebliebene einen Tag lang stehen blieb.
Drumherum ging das Familienleben weiter: Juniors Einschulung, mein 34. Geburtstag und kurz darauf der 40. Geburtstag meines Bruders – all das hatte er noch miterlebt. Ich digitalisierte um die hundert Familienfotos, die ich ihm auf ein Tablet spielte. Einmal sah er sie sich noch an. Dann das Drachenfest unserer Gemeinde, Junior ließ seinen selbstbemalten Drachen in die Lüfte steigen. Auch diese Bilder zeigte ich meinem Vater noch. Ein paar Tage später war er schon gar nicht mehr ansprechbar. Zur gleichen Zeit hatte ich mich auf der Arbeit für einen Schülerpraktikanten verpflichtet, der Zeitpunkt konnte für mich nicht ungünstiger sein, doch irgendwie hatten wir ihn gut über die Woche gebracht. dann schließlich: Stillstand. Sogar mein in den Vereinigten Staaten lebender Onkel, bei dem wir den Sommer noch so unbeschwert verbracht hatten, war gemeinsam mit meiner Tante die letzten Tage an unserer Seite.

Nur zwei Tage nach dem Tod organisierten wir die Beerdigung. Meine Mutter, mein Bruder und ich waren erstaunlich gefasst und sachlich, planten, was zu planen war. Ich war überrascht, ob meiner Gefühllosigkeit in den ersten Wochen nach dem Tod. Einer der wichtigsten Menschen war von mir gegangen und ich spürte, abgesehen von wenigen durchaus heftigen Momenten, kaum Trauer. Zwischendurch war ich mit meiner kleinen Familie sogar für eine ganze Woche nach Büsum gefahren und ich fühlte, wie die körperliche Erschöpfung der letzten Wochen von mir wich. An meinen Vater habe ich dort allerdings kaum gedacht. Als wir wieder nach Hause kamen, lag eine Beileidskarte in unserem Briefkasten. Diese und ein von mir aufgestelltes Foto im Wohnzimmer ließen mich schließlich doch auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Seitdem kehrt der Alltag langsam zurück und ich kann wieder lachen und albern sein. Aber ich denke mehr über das Leben nach. Eigentlich ist es zu kurz für alles Negative. Zu kurz für Trauer, Hass, Wut und schlechte Gefühle.